Die Fastnachtssitzungen

Nach den Wirren des Zweiten Weltkrieges war es am 11. November 1948 um 20:11 Uhr im "Mainzer Hof" endlich wieder soweit. Mit einem ausgefeilten Programm eröffnete der Elferrat des KVD, der gleichzeitig alle Vortragenden stellte, die närrische Saison. Die Presse überschlug sich mit positiver Kritik. So war im "Darmstädter Echo" zu lesen: "440 Jahre ist nun der Dieburger Karneval alt. Aber Narretei und Frohsinn werden immer jünger, je älter sie werden. Die Geister wetzen sich an den kleinen und großen Übeln unserer Zeit. Nicht boshaft, nicht verletzend, nicht beleidigend, sondern sprühend witzig."

Zur ersten "Damen- und Herrensitzung" am 29. Januar 1949 um 20:11 Uhr zog mit dem Eröffnungsmarsch der "Kapelle Wohlfahrth" Sitzungspräsident Ernst Geisler samt Elferrat in den fastnachtlich dekorierten "Mainzer Hof" ein. Neben so genannten alten Hasen wie Ernst Geisler, Valentin Karst und Willi Müssig traten auch erstmals Neulinge wie Fritz Wick, Walter Hock und Georg Rainfurth auf. Auch die Tänze der Mitglieder des Turnvereins unter der Leitung des "Ballettmeisters" Jean Rödler waren eine Augenweide. Im "Main Echo" vom 10. Februar 1949 war zu lesen: "Wer angenommen hatte, dass die große Damen- und Herrensitzung des KVD in ihrer Wirkung nicht mehr gesteigert werden könnte, musste diese Zweifel bereuen. Die Wogen der Begeisterung schlugen immer höher und verbreiteten sich über die ganze Veranstaltung."

Die Ludwigshalle

Mit den Sitzungen im Jahre 1951 zog der KVD in die "Ludwigshalle" um, der Carneval-Club hielt seine Sitzungen im "Mainzer Hof" ab. Im Laufe der Zeit nahm die Anzahl der Fastnachtssitzungen stetig zu und die der Maskenbälle ab. Waren es 1953 drei Sitzungen gegenüber 16 offiziellen Maskenbällen, so lag das Verhältnis 1986 bei acht Fastnachtssitzungen, zwei Kindersitzungen zu sechs Maskenbällen.

Auch wandelte sich im Laufe der Jahre der Publikumsgeschmack. Waren es in den Anfangsjahren noch die Wortvorträge, die im Trend der Zeit lagen, so nahmen über die Jahre immer mehr auch Show- und musikalische Beiträge sowie reine Witzvorträge Einzug ins Sitzungsprogramm. Die Abwechslung und Vielfalt, die Qualität der Inhalte und der so genannte "Lachfaktor" - alles auf einem hohen Niveau - waren und sind verfolgte Ziele der Dieburger Sitzungsfastnacht.

Büttenasse wie Günther Weber, Klaus Erlewein, Hans Enders und Heinz Bonifer oder Meister des Witzes wie Augustin Lohrum sowie Hans Rupp mit seinen Klamaukvorträgen prägten das Bild der Fastnachtssitzungen unter dem bewährten Zepter des langjährigen Sitzungspräsidenten Georg Rainfurth. Für die musikalischen Elemente waren in jenen Jahren Robert Thomas als Musikclown und später bei den Schnullern, die Speeslochfinken und die TuPuKas - das spätere KVD-Hofballett - verantwortlich. Auch gab es schon unser Männerballett, die Heihupper. Die Sitzungen waren und sind keine reine Männerdomäne. Frauen wir Maria Karst und Erika Bonifer oder Anneliese Blank als Bawett waren schon damals mehr als schmückendes Beiwerk.

1968/69 wurde die "Ludwigshalle" umgebaut und die Bühnenaktiven konnten ihre Garderobe im kleinen Sälchen beziehen. Wenn man bedenkt, dass diese sich vormals in den Räumlichkeiten unterhalb der Bühne umzogen, dann ist dies für heutige Verhältnisse unvorstellbar.

Wer sich heute über die beengten Saalverhältnisse beschwert, sollte bedenken, dass in jenen Jahren pro Sitzung bis zu 500 Zuschauer im Saal Platz fanden.

Nach dem aktuellen Bestuhlungsplan aber fasst die "Ludwigshall" nur noch 360 Sitzplätze. Eine gewisse räumliche Enge zum Nachbarn ist für eine Sitzung und ihren Stimmungsgehalt von enormer Bedeutung. Man verschwendet nicht unnötig Zeit und Anstrengung, seinen Äla-Partner kennen zu lernen, da er ja schon auf Tuchfühlung gegangen ist, und kann sich voll konzentriert ins Geschehen fallen lassen.

Anstehen für den besten Sitzplatz

Im Kampagnenjahr 1969 fand die erste Dieburger Kindersitzung statt, die fortan ein fester Bestandteil zur Förderung unseres Dieburger Fastnachtsnachwuchses werden sollte.

In den 70er und 80er Jahren wandelte sich abermals der Publikumsgeschmack. Neue Akteure betraten die Bühne und gestalteten die Sitzungen. Jene Jahre waren geprägt durch ein hohes Maß an Kontinuität und Qualität und dem Bestreben, stets auch ein hohes Niveau bei den Pointen und Darbietungen zu halten. Gerade dies festigt den Ruf der Dieburger Sitzungsfastnacht über die Grenzen unserer Heimatstadt hinaus.

In gleichem Maße wie die Qualität der Dieburger Sitzungen gesteigert wurde, stieg die Nachfrage nach Karten. Wurden diese in den Anfangsjahren noch über das Kaufhaus Enders verkauft, so musste bald ein anderer Verkaufsmodus gefunden werden. Um die enorme Nachfrage zu bewältigen, konnte man fortan an einem bestimmten Sonntagmorgen die Karten durch den KVD selbst in der "Ludwigshalle" beziehen. Dies führte dazu, dass schon nächtens vor besagtem Ausgabetermin abgehärtete Narren im Hof der "Ludwigshalle" bei Minusgraden ausharrten, um an die besten Plätze zu kommen. Nun aber bestellt man seine Karten durch eine Online-Überweisung vom warmen Wohnzimmer aus bereits im September für die kommende Sitzungssaison, ohne sich beim Anstehen Frostbeulen zu holen.

In wenigen Tagen sind jedoch auch heutzutage die neun oder zehn Sitzungen verkauft, obwohl zu diesem Zeitpunkt das Sitzungsprogramm noch nicht steht. Dies geschieht alljährlich an einem Wochenende Mitte November bei der Klausur der Vortragenden. Da die kommenden Sitzungen zu diesem Zeitpunkt schon ausverkauft sind, und die Bühnenaktiven erstmals ihre erdachten Bühnennummern einem äußerst kritischen Publikum präsentieren, ist die Stimmung verständlicherweise angespannt und das Lampenfieber sehr groß. Es hat sich aber in der Vergangenheit immer wieder bewahrheitet, dass ein kritischer, ehrlicher und konstruktiver Umgang im Vorfeld der Klausur die Qualität der Beiträge erheblich steigert.

Wenn dann die Sitzungskampagne reibungslos verläuft, unser närrisches Publikum begeistert applaudiert, und ihm vor Lachen die Tränen laufen, dann kann mit Recht behauptet werden: Es ist ein langer, arbeitsreicher und aufregender Weg bis zum ersten Auftritt. Das Lachen des Publikums und der Applaus sind der Dank, der entschädigt und süchtig macht.